Anne Loch

Anne Loch in ihrem Atelier in Essen, 25.11.2007, Foto © André Born, Bern 2007

Biografie

1946 Geboren am 11. Dezember in Minden (Nordrhein-Westfalen).

Annelore Held wächst in Minden zusammen mit ihrem Bruder in einem strengen und sparsamen Umfeld auf. Der Vater ist Lehrer an einer Realschule; 1960 wird er als Rektor nach Gelsenkirchen-Buer berufen. Die Familie zieht um.

1968 Heirat mit dem Psychiater Helmut Loch. Das Paar wohnt zuerst in Wuppertal und Köln und zieht dann nach Heidelberg. Adoption von zwei Kindern.

1968-1971 Ausbildung als Modedesignerin und Arbeit als Schneiderin.

1971-1972 Arbeit in psychiatrischen Institutionen.

1972-1978 Studium an der Kunstakademie Düsseldorf, Meisterschülerin von Klaus Rinke, bei dem u. a. Harald Klingelhöller, Ulrich Loock, Reinhard Mucha und Volker Tannert studieren.

1977 Aufenthalt in Venedig.

1979 Im Sommer reist Anne Loch mit den beiden Kindern über Venedig nach Ravenna. Nach der Rückkehr verlässt sie ihren Mann und zieht mit den Kindern nach Düsseldorf. Kurz darauf reist sie alleine über Venedig zu einem längeren Aufenthalt wieder nach Ravenna. Nach der Scheidung Ende 1979 wird das Sorgerecht für die Kinder dem Vater zugesprochen. Einzelne Ferienbesuche der beiden Kinder bei ihrer Mutter – in Köln und Thusis. Um 1991 bricht Anne Loch auch den Kontakt zu den beiden Kindern endgültig ab.

«Oft denke ich, ein Psychiater würde ganz viele Gründe haben, warum ich so lebe, wie ich lebe. Warum ich mit dieser Liebe lebe, zum Beispiel, ich würde das Leiden lieben oder sonst was.
Mir sind schon so viele Erklärungen gesagt worden. Aber ausserhalb der Analyse gibt es noch etwas Anderes: Das sind die Momente der Wahrheit, und die zu fühlen, das kann nur ich. Und die Entscheidung zu treffen, das kann auch nur ich.» (Tagebuch, Juni 1990)

1980 Im Frühsommer zieht Anne Loch weiter nach Neapel, wo sie das grosse Irpinia-Erdbeben miterlebt. Hier lebt und arbeitet sie bis Anfang 1984.

«Wenn ich immer so gesagt habe, ich suche das Leben oder wie es lebendig wird oder wie es entsteht, dass ein Bild das Leben entstehen lassen muss, deshalb ja auch diese Vorstellung, dass es etwas sagen kann zum Miteinander der Menschen,
weil die Strukturen in einem Bild, die es ermöglichen, dass es anfängt zu leben, die gleichen sein müssen wie in der Gesellschaft. Das ist ja auch, dass ich nie ein Landschafter war. Ich habe nicht meine Kindheit oder meine Jugend oder später meine Zeit in der Landschaft verbracht und dann sehnsuchtsvoll darauf hin Landschaften gemalt, sondern die Landschaft war so dieser Schmerz, das zu sehen, was dann auslöst zu bemerken, was wir verkehrt machen. Also wenn ich ein Foto von einer Landschaft sehe oder ich sehe eine Landschaft im Fernsehen, dann rührt das diesen Schmerz eher als die Landschaft an sich. Die Landschaft an sich, die ist ja eher eine tiefe Beruhigung und Befriedigung, und so habe ich meine Landschaften nur aus der Idee heraus gemalt, also nach Fotos. Und dann bin ich ja erst in die Landschaft gegangen und das ja erst hier [in Graubünden]. In Italien war ich nur in der Stadt; ich bin in Neapel herumgelaufen. Da bin ich nie ans Meer gegangen, nie in die Umgebung. Ich habe mich nur zwischen den Häusern bewegt. Und aus dem heraus, aus diesen sozusagen atmosphärischen Strömungen, aus meiner Ordnungssuche heraus, aus den Erfahrungen, die ich da gemacht habe – nein, nicht aus den Erfahrungen, sondern aus den irrationalen Momenten, da wurde die Sehnsucht so konkret und da kann ich dann einfach ein Landschaftsfoto nehmen. Also das ist aus einer Abstraktion heraus in die Landschaft, und dann gehe ich vielleicht wieder zur Abstraktion zurück. Das weiss ich jetzt noch nicht.» (Tagebuch, Mai 1990)

In Neapel verkehrt Anne Loch in den Kreisen um den Galeristen Lucio Amelio. Dieser hat 1964 eine Galerie gegründet, die ganz auf die damalige internationale Avantgarde ausgerichtet ist. So zeigt Amelio bereits 1971 Andy Warhol und Joseph Beuys (mit dem bekannten Plakat La rivoluzione siamo Noi!), 1980 dann Joseph Beuys by Andy Warhol und, nach dem schweren Erdbeben, das 2914 Opfer gefordert hatte, die Ausstellung Terrae Motus mit 50 internationalen Künstlern zum Thema Erdbeben. Auch Anne Loch beschäftigt sich einen Tag nach dem Beben in einem Bild mit dem Ereignis. In den folgenden Jahren bis 1983 sind in der Galerie Amelio u. a. zu sehen: wiederum Warhol, Tony Cragg, Keith Haring, Richard Long, Robert Mapplethorpe, Gerhard Richter oder Michelangelo Pistoletto. Zu Anne Lochs Freunden aus dem Umkreis der Galerie gehören Luigi Ontani und Nino Longobardi.

1981 Ausstellung im Goethe-Institut in Neapel.

1982 Anne Loch stellt im November/Dezember im Klapperhof 33 in Köln u. a. mit Peter Fischli, Gerard Klever, Milan Kunc, Rosemarie Trockel und David Weiss aus.

1984 Anne Loch kehrt nach Köln zurück. Im Atelier entstehen in den folgenden Jahren grosse, farbige, unterkühlte Blumen- und Landschaftsbilder in monumentalen Formaten.
Monika Sprüth hat 1983 in der Kölner Altstadt ihre erste Galerie für Frauen eröffnet. Anne Loch gehört neben Rosemarie Trockel, Jenny Holzer, Barbara Kruger und Cindy Sherman zu den Künstlerinnen, die die Galerie vertritt. In diesem Umfeld trifft sie auch Günther Förg und die Neuen Wilden Walter Dahn und Martin Kippenberger und begegnet Volker Tannert wieder.

1987 Erste Einzelausstellungen in Museen: 1987 im Neuen Kunstverein Aachen, 1988 im Bonner Kunstverein.

1988 Anne Loch wendet sich vom Kunstbetrieb im Rheinland radikal ab und geht in die Schweiz, nach Graubünden. Sie sucht nicht eine Idylle, geht also nicht ins Hotel Waldhaus in Sils im Engadin, wo viele ihrer Künstlerkollegen aus der Kölner Kunstszene verkehren. Sie wohnt und arbeitet in Thusis, zuerst im alten, heruntergekommenen Hotel Viamala, später in der ehemaligen Herberge Alte Krone. Thusis ist kein landschaftlich schön gelegenes, erhabenes Bergdorf, sondern ein Durchgangsort, von wo aus die einst gefährlichen Wege durch die Via- mala zu den Alpenpässen führen. Sie lebt völlig zurückgezogen und gönnt sich nur das Allerwenigste. Anne Loch lernt das Berner Galeristenpaar Erika und Otto Friedrich kennen. Die Galerie Friedrich richtet Anne Loch mehrere Ausstellungen in der Schweiz aus. Erstmals sind dort auch eine längere Bildserie sowie Skulpturen zu sehen.

1989 Anfang Jahr begegnet Anne Loch J. R. Es beginnt eine über mehrere Jahre dauernde Liebesgeschichte, die die Künstlerin intensiv beschäftigt und in eine wichtige Schaffensperiode fällt. Das bezeugen lange, manchmal in Briefform gehaltene Tagebucheinträge, die zugleich davon erzählen, dass diese Beziehung letztlich unerfüllbar bleibt und Anne Loch zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwanken lässt.

«Diese Unruhe geht ja nicht weg, wenn ich nicht hier bin. Ich habe in der letzten Woche auch oft mit Leuten geredet, das heisst mit den paar Frauen da, mit denen ich mehr zu tun habe. Mit der Frau M. sass ich ein paar Mal vor ihrem Schäfli in der Sonne und dann gibt es schon gleich einige Stunden zusammen. Und ich weiss immer gar nicht, wie man das schafft, wie ich das schaffe, dass ich innerlich fast zerbreche und äusserlich ganz ruhig reden kann, so dass es mir niemand anmerkt.» (Tagebuch, Juni 1990)

Im Stillen arbeitet Anne Loch in Thusis unermüdlich weiter. Rund 500 meist grossformatige Werke zählen zu dieser Schaffensperiode.
Die Auseinandersetzung mit der Natur, das Bild der Landschaft in der Malerei, beschäftigt sie nach wie vor intensiv. Auf zahlreichen Wanderungen entstehen Serien mit unendlich vielen Fotografien und, 1995, die beiden Filmskizzen Anarche und Der Tag.

Am 24. Mai 1989 beginnt Anne Loch mit der Aufnahme ihrer Sprechbänder, die sie später zu Tagebüchern verarbeitet (unveröffentlicht).

2002 Anfang Jahr kehrt Anne Loch nach Deutschland zurück Die Abreise aus Thusis erfolgt bei Nacht und Nebel. Sie verabschiedet sich kaum von ihren wenigen Bekannten. Nach einer kurzen Zwischenstation in Magdeburg zieht sie zuerst nach Duisburg und 2008 nach Essen. Zur Kunstszene im Rheinland pflegt Anne Loch ebenso wenig Kontakt wie zu ihren Galeristen oder zu offiziellen Kunstinstitutionen. Sie zieht sich vollständig zurück, ist ganz auf ihre Arbeit konzentriert. Nichts Überflüssiges will sie um sich haben. Einzig Kontakte zu Freunden aus der Schweiz bleiben bestehen.
Anne Loch arbeitet weiter an den in der Schweiz begonnenen Werkgruppen. Gleichzeitig wendet sie sich neuen, teilweise abstrakten, immer noch grossformatigen Bildern zu. Es entstehen Arbeiten auf blendend weissem Hintergrund: Schafe, Rehe, Bäume, Blumen, Blätter, abstrakte Formen. Sie malt/zeichnet mit Acryl. Die Farbtöne reichen von Bronze und Zinn über Braun, Schwarz und Blau bis zu sattem Krapprot. Mit Edding-Stiften zeichnet/malt sie grosse Landschaften auf weissen oder grob gespachtelten Hintergründen. Die Fotografie und die Textarbeit sind weiterhin Teil ihres Schaffens.

2013 Im Sommer wird eine schwere Krebserkrankung diagnostiziert.
Anne Loch schliesst ihre Wohnung und ihr Atelier in Essen ab und lässt sich in die Schweiz, ins Bergell (Graubünden), bringen. Während der nächtlichen Fahrt wirft sie ihre Schlüssel aus dem Autofenster.
Im Bergell sorgen ihre letzten Freunde für eine Unterkunft und für die nötige Betreuung. Obwohl sie durch die Krankheit geschwächt ist, arbeitet Anne Loch intensiv weiter an Fotobearbeitungen bis zu ihrem Tod. Sie schreibt viel.

2014 Anne Loch stirbt am 4. April in Promontogno im Ospedale Asilo della Bregaglia Flin.